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Bertolt
   Brecht


«Vertriebene sind wir,
Verbannte.»
Brecht
Bertolt Brecht
Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das.
So die Pfeife, die er abends immer rauchte,
Und das Büchlein, das er immer las.
Weißbrot nach dem Augenmaß.

Wikipedia LinkBertolt Brecht flüchtete am 28. Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, mit seiner Familie und einigen Freunden nach Prag.
Die einleitende Gedichtstrophe stammt aus Brechts „Laotse auf dem Wege in die Emigration“ - ein Werk, das er später im dänischen Exil schrieb, welches zahlreiche Selbstdeutungen enthält und auch eine seiner Motivationen im Exil beschreibt: Die endlose Suche nach Weisheit und Erkenntnis.
Außerdem motiviert ihn der Kampf gegen den Faschismus und gegen den Kapitalismus. Für die Nazis war er als bekennender Marxist natürlich einer der größten „Volksfeinde“. Die deutsche Staatsbürgerschaft verlor er dementsprechend 1935, seine Bücher verbrannten auf dem Scheiterhaufen und Brechts Theaterstücke durften nicht mehr aufgeführt werden.

Brecht beim Zeitunglesen
Brecht beim Zeitunglesen in Carona mit Kurt Kläber und Helene Weigel

Er verließ Prag und gelangte in die Schweiz, wo er eine Zeit lang bei seinem alten Freund Kurt Kläber in Carona verweilte. In seiner späteren Isolation in Dänemark erinnerte er sich gern zurück an das gemeinsame Zeitunglesen mit Freunden:

„ich würde gern wieder einmal die Zeitungen zusammen mit euch lesen. man verdaut besser zusammen. und man muss ungeheuer verdauen jetzt“

Seine nächste Station war Paris (Herbst 1933), wo er zusammen mit Kurt Weill am Ballett „Die sieben Todsünden“ schrieb. Für den Pariser Lebensstil hatte er allerdings wenig Sinn, wie folgende Anekdote zeigt:

„Als während eines Gesellschaftsabends eine Reihe leichter Mädchen einbrach, setzte sich ihm eines auf die Knie und fragte, ob er lieber mit einer oder mit zwei Frauen ins Bett gehe. Brecht sah sie versonnen an. ‚Darauf kann ich ihnen im Augenblick keine Antwort geben‘, sagte er schließlich, ‚da ich mich mit Herrn X. über den dialektischen Materialismus unterhalte...‘“

Er machte keine Versuche sich groß anzupassen und blieb bei seiner schlampigen Art sich zu kleiden, die so gar nicht in die feine Pariser Welt passte:

„Man war bei einem reichen Pariser Arzt eingeladen, der ein besonders modernes Haus besaß: darin war alles aus Glas [...] Während des Essens sah Kläber, wie Brecht vor sich hinguckte und plötzlich erstarrte. Durch die Glasplatte erblickte er, vergrößert, seine weit klaffenden, dreckigen Emigrantenschuhe...“
Das Fischerhaus in Skovsbostrand
Das Fischerhaus in Skovsbostrand

Nach der Premiere der „Sieben Todsünden“ knüpfte Brecht Kontakte mit dem Kopenhagener Theater und siedelte um nach Skovbostand bei Svendborg in Dänemark, wo er die nächsten fünf Jahre seines Lebens verbringen sollte.

Geflüchtet unter das dänische Strohdach, Freunde
Verfolg ich euren Kampf

Über seine dänische „Zufluchtsstätte“ schrieb Brecht:

Ein Ruder liegt auf dem Dach. Ein mittlerer Wind
Wird das Stroh nicht wegtragen.
Im Hof für die Schaukel der Kinder sind
Pfähle eingeschlagen.
Die Post kommt zweimal hin
Wo die Briefe willkommen wären.
Den Sund herunter kommen die Fähren
Das Haus hat vier Türen, daraus zu fliehn.
Das Leben des Galilei
Eines seiner bedeutensten Werke:
„Das Leben des Galilei“

Hier wird schon deutlich, dass Brechts Zuflucht zwar idyllisch, aber auch abgelegen ist, und zu einer Isolation seiner selbst führte und er sehnte sich dementsprechend, wie im Vers „Wo die Briefe willkommen wären“ deutlich wird, nach mehr Gesellschaft. Dennoch ist dieser Zeit zwischen 1933 und 1938 der Entstehung seiner bedeutendsten Dramen zu verdanken, u.a. „Das Leben des Galilei“, „Mutter Courage“ und „Der gute Mensch von Sezuan“.

Brecht stand nicht still. Politisch wirkte er durchweg, z.B. auch durch Lesungen im Radio und setzte sich ständig mit der Situation in Deutschland auseinander. Sein Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ zeugt davon:

Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten.
Daß heißt doch Auswanderer. Aber wir
Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluß
Wählend ein anderes Land. Wanderten wir doch auch nicht
Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer.
Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte.
Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns aufnahm.
Unruhig sitzen wir so, möglichst nahe den Grenzen
Warten des Tags der Rückkehr, jede kleinste Veränderung
Jenseits der Grenze beobachtend, jeden Ankömmling
Eifrig befragend, nichts vergessend und nicht aufgebend
Und auch verzeihend nichts, was geschah, nichts verzeihend.
Ach, die Stille der Stunde täuscht uns nicht! Wir hören die Schreie
Aus ihren Lagern bis hierher. Sind wir doch selber
Fast wie Gerüchte von Untaten, die da entkamen
Über die Grenzen. Jeder von uns
Der mit zerissenen Schuhn durch die Menge geht
Zeugt von der Schande, die jetzt unser Land befleckt.
Aber keiner von uns
Wird hier bleiben. Das letzte Wort
ist noch nicht gesprochen.

Auch seine „Gedanken über die Dauer des Exils“ stellen die innere Unruhe und Hoffnung auf baldige Heimkehr dar:

Schlage keinen Nagel in die Wand
Wirf den Rock auf den Stuhl
Warum vorsorgen für vier Tage?
Du kehrst morgen zurück.

[...]

Brecht war also jemand der „das Land häufiger als die Schuhe wechselte“ oder, wie Max Frisch es ausdrückte, ein „Passant unserer Zeit“.

Der Krieg kam näher und Bertolt Brecht musste flüchten, denn Dänemark wurde von deutschen Truppen besetzt. Erst blieb er ein Jahr in Schweden, dann, im April 1940 kam er nach Finnland, wo er zusammen mit der finnischen Dichterin Hella Wuolijoki an „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ arbeitete. In einem Tagebucheintrag schreibt er darüber:

„es wäre unglaublich schwierig, den gemütszustand auszudrücken, in dem ich am radio und in den schlechten finnisch-schwedischen zeitungen der schlacht um england folge und dann den PUNTILA schreibe. dieses geistige phänomen erklärt gleichermassen, dass solche kriege sein können und dass immer noch literarische arbeiten angefertigt werden können. der puntila geht mich fast nichts an, der krieg alles; über den puntila kann ich fast alles schreiben, über den krieg nichts. ich meine nicht nur darf, ich meine auch wirklich kann. es ist interessant, wie weit die literatur, als praxis, wegverlegt ist von den zentren der alles entscheidenden geschehnisse“1

Das friedliche finnische Leben - ein „nachtloser Sommer über wildem Strom“ - dauerte nicht lang an, denn die Nazis rückten immer weiter in den Osten vor. Brecht reiste nach Amerika.

Brecht in New York
Brecht mit seinem Sohn Stefan in New York

Dort kam er in einem Holzhaus in Hollywood unter, eine Stadt, die er als „würdelos“ und als „Weltrauschgiftzentrale“ bezeichnete, und versuchte mit dem Filmemachen Geld zu verdienen, was ihm allerdings nicht sonderlich gut gelang. In sein Tagebuch notiert er 1942: „zum ersten mal seit 10 Jahren arbeite ich nichts ordentliches“. Seine finanzielle Lage verschlechterte sich, seine Arbeit empfand er als unwürdig und frustrierend, der typisch kapitalistische amerikanische Lebensstil ekelte ihn an:

Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen,
Fahre ich zum Markt, wo Lügen gekauft werden.
Hoffnungsvoll
Reihe ich mich ein unter die Verkäufer.

Er beklagt sich über seine Lebensumstände:

„fast an keinem ort war mir das leben schwerer als hier in diesem schauhaus des easy-going.“

In einem Brief schreibt er:

„die geistige isolierung ist ungeheuer, im vergleich zu hollywood war skovsbostrand ein weltzentrum.“
Brecht Karikatur
Amerikanische Bertolt Brecht Karikatur

Er musste über ein Jahr lang mit 120 Dollar pro Monat auskommen und war auf Unterstützung, unter anderem von Wikipedia LinkLion Feuchtwanger angewiesen.
Seine Lage verschärfte sich weiter, als er wegen „unamerikanischem Verhalten“ ins Visier des FBI geriet. In den USA herrschte eine fanatische Kommunistenfurcht und Brechts Einstellung war allseits bekannt. Doch dank seiner List und seinem Humor konnte man ihm in den Verhören nichts nachweisen und er wurde freigelassen.

Am 8. Mai 1945 kapitulierte Nazi-Deutschland und der Krieg in Europa war vorbei. Brecht atmete auf und schöpfte neue Hoffnung:

„früh sechs uhr im radio hält der präsident eine ansprache. zuhörend betrachte ich den blühenden kalifornischen garten“

1949 endete sein Exilleben und er siedelte nach Berlin um. 16 Jahre Emigration lagen hinter ihm - 16 Jahre voller Furcht und Bangen um Deutschland, voller Geld- und Integrationsprobleme, aber auch 16 Jahre voll von künstlerischem Schaffen.


Quellennachweise (leider unvollständig):
[1] Große Kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe Bd. 26, S. 424